Montag, 18. Januar 2016

2016: Das Ende der Contentstrategie, wie wir sie kennen


2016: Das Ende der Contentstrategie, wie wir sie kennen

11 (plus eine) Thesen zu den dramatischen Entwicklungen, die längst im vollen Gange sind

nochmal nachdenken
Es wird große Enttäuschungen geben und immense Verluste an völlig sinnlos eingesetzten Budgets in Werbung, PR und Marketing. Denn gerade in letzter Zeit springen deutsche Unternehmen auf vermeintlich brandneue Züge auf, die tatsächlich bereits auf dem besten Weg zum Abstellgleis sind. Das ist aber auch schon fast das Einzige, was in diesen sich rasant wandelnden Zeiten sicher ist. Die Disruption ist der Normalfall, und wer linear denkt und nicht in der Lage ist, sich schnell anzupassen, wird zunächst in der Informationsflut und dann unternehmerisch untergehen. Woran liegt das, und was ist zu tun? Tatsächlich ist etliches, was ich hier zusammengetragen habe, im Prinzip alles andere als neu. Vieles davon sagen meine Kollegen und ich buchstäblich seit Jahren. Manches folgt schlicht ganz grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, spitzt sich aber im Detail immer mehr zu. Doch einige gängige Lehrmeinungen haben sich mittlerweile überholt. Hier sind meine elf Thesen zu Contentstrategien und Contentmarketing im Jahr 2016.
1. Es gibt längst viel zu viel Content, aber die Aufmerksamkeit wächst nicht mit
Es kann so nicht weitergehen, das ist also ganz klar. Ob nun tatsächlich so strategisch und konsequent, wie es sein sollte, oder nicht: Im vergangenen Jahr sind meiner Wahrnehmung nach mehr Unternehmen als je zuvor in Deutschland in die Themen Contentstrategie und des Contentmarketings eingestiegen. Das bedeutet zum einen: Wer noch nicht soweit ist, hat immer weniger Zeit. Doch andererseits gibt es für immer mehr Inhalte auch nicht immer mehr Aufmerksamkeit. Deswegen müssen sich nicht nur die Einsteiger in das Thema schon ganz anders aufstellen als ihre Vorreiter vor ein, zwei oder noch mehr Jahren. Auch diejenigen, die bereits gut unterwegs sind und konsequent Inhalte über verschiedene Kanäle spielen, müssen ihre Strategie früher oder später überdenken und womöglich ganz neu planen.

2. Content ist überflüssig. Es lebe der Nutzen!
Natürlich ist im Grunde alles „Content“, was in irgendeiner Form medial dargestellt oder auch nur geäußert wird. Doch wer in die Klagen einstimmt, dass hochwertige Contentstücke immer schwieriger ihre Empfänger finden, dagegen triviale Sinnsprüche und banale Tiervideos sich tausendfach verbreiten, sollte schleunigst aus seiner Opferrolle herauskommen. Erstens liegt es nicht in der Natur anspruchsvoller Essays, sich viral unter einem Millionenpublikum zu verbreiten. Zweitens zählt in dieser ständig steigenden Informationsflut eigentlich nur noch eines: Der Nutzen für den Empfänger; und zwar der, der sich unmittelbar erkennen lässt. Das ist natürlich gar nichts Neues. Doch die Auswirkungen werden immer dramatischer. Wo sich Menschen früher womöglich noch einige Sekunden Zeit nahmen, um sich auf irgendwelche Abstraktionsebenen vermuteten Wertes von Informationen zu begeben, muss dieser heute blitzartig erkennbar sein.

3. Wenn es keine Story hat, kann es weg
Jede gute Geschichte, jedes noch so kleine Stück Inhalt braucht einen roten Faden. Gute Kommunikation erzählt Geschichten über mehrere Medien und Plattformen hinweg. Storytelling, ich wiederhole es gerne noch einmal mehr, bedeutet keinesfalls, weitschweifige Fabeln daherzulabern. Innere Stringenz, Spannungsbögen, Wiedererkennbarkeit, Identifikationspotential: Alles, was zu einer guten Geschichte gehört, braucht auch die Unternehmenskommunikation.

4. Wenn es kein Gesicht hat, kann es weg
Zu einer guten Geschichte gehören Protagonisten, „Helden“. Persönliche Bindungen entscheiden darüber, wie Marken wahrgenommen werden und wie die Menschen einem Unternehmen vertrauen. Manager und Mitarbeiter müssen digitaler werden – dringend! Ich habe es erst kürzlich hier gesagt, und ich werde es in diesem Jahr noch öfter wiederholen: Die digitale Kompetenz der Protagonisten in deutschen Unternehmen ist zum größten Teil viel zu niedrig, erst recht im internationalen Vergleich. Das Marketing kann in sozialen Netzwerken nichts reißen, wenn die Gesichter der Firmen sich weiter in der analogen Welt verschanzen.

5. Die Form des Inhalts muss sich ändern
Das zuvor Beschriebene bedeutet auch: Kurze, schnell erfassbare Inhaltsstücke, die auf mehreren Ebenen den Intellekt und die Sinne ansprechen, gewinnen an Bedeutung. Die Ansprüche der Nutzer an Ästhetik und technische Aufbereitung steigen. Multimediale Formen gewinnen an Bedeutung. Alles oft gesagt, fast schon zu platt. Aber leider hat das Marketing in vielen Unternehmen es immer noch nicht begriffen. – Bedeutet das jetzt, dass Ratgeber-Stücke, wie etwa auch dieses hier, komplett irgendwelchen Echtzeit-Formen oder 360-Grad-Videos weichen müssen? Das glaube ich wiederum auch nicht. Jede Form hat ihr Publikum, aber man muss wissen, für wen man publiziert und warum. Und lange Lesestücke (auch die in diesem Blog) brauchen flankierende Medien, Austausch sowie Formen an anderer Stelle und ein persönliches Netzwerk darum herum, denn:

6. Eine Plattform ist nicht genug
Ich beobachte es derzeit bei vielen Unternehmen: Da ist nun endlich der Wert einer Contentstrategie erkannt, und so wird erst einmal an der eigenen Website gefeilt und ein Corporate Blog aufgebaut. Die dort publizierten Inhalte könnte man geradeso gut mit der Hauspost auf Papier verteilen, denn außerhalb der Firma werden sie kaum gelesen. Es fehlt die Verbreitung. Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass man potentielle Nutzer und Kunden dort treffen muss, wo sie sich selbst aufhalten wollen und wo sie im Moment ein bestimmtes Bedürfnis haben.

7. Es gibt nicht eine einzige Lösung für alle und alles
Personalisierte Inhalte, die sich auf den jeweiligen Nutzer und dessen Customer Journey beziehen, sind das eigentlich Wichtige in diesen sich schnell wandelnden Zeiten. Das gilt natürlich vor allem dort, wo Umsätze erzielt und Waren oder Dienstleistungen verkauft werden sollen. In der Tat gibt es immer noch Unternehmen, die ihre Inhalte im Web so präsentieren, als wären sie in Blei gegossen und auch genauso unflexibel. Selbst den Spruch „Unsere Kunden besuchen unsere Website sowieso nicht mobil“ hört man nach wie vor. Dabei wäre das Ganze so einfach, wenn die Nutzerdaten und sozialen Signale, die einfacher denn je zu gewinnen sind, auch verarbeitet würden. Ist aber nicht so. In deutschen Firmen wird viel von „Industrie 4.0“ und „Internet der Dinge“ (IoT). Die tatsächlichen Auswirkungen, vor allem in der Unternehmenskommunikation, der Kundengewinnung und des Kundenservices sind so gering, dass sie selbst mit der Lupe kaum zu finden sind – von wenigen Ausnahmen wie immer abgesehen.

8. Marken verlieren an Bedeutung – es lebe die Marke!
Markenbindung ist immer schwerer herzustellen und zu halten. Menschen treffen Kaufentscheidungen aufgrund ihrer Bedürfnisse und des angenommenen Nutzens – nicht aufgrund eines Labels oder einer früheren Kaufentscheidung. Wenn es aber einmal gelungen ist, eine Marke mit einem solchen Nutzen sozusagen aufzuladen und (auch mittels persönlicher Bindungen!) wirkliches Vertrauen herzustellen, dann ist der Nutzer und Käufer dankbar für einen solchen Leuchtturm in der Flut der Angebote.

9. Wer Findbarkeit sagt, darf nicht nur an Suchmaschinen denken
Suchmaschinenoptimierung mit nützlichem Content wird häufig vernachlässigt, ebenso die Bedeutung von Mobiltauglichkeit, Ladezeiten und anderen Faktoren für das Google-Ranking. Doch was Unternehmen oft völlig vergessen: Menschen bewegen sich oft in den mehr oder weniger geschlossenen Universen einer Plattform und suchen dort direkt nach Stichworten und Themen. Die direkte Sucht auf YouTube hat beispielsweise dramatisch an Bedeutung gewonnen. Hashtags auf Instagram entscheiden darüber, wie gut Fotos zu einem Thema gefunden werden. Allerdings: zu viele oder falsch eingesetzte Hashtags sind eher kontraproduktiv, auch in anderen Social Media. Wie immer macht der passende Einsatz die Musik! – In diesem Bereich wird sich in Zukunft noch viel tun, und darauf sollten Sie genügend Aufmerksamkeit verwenden.

10. Die User laufen vor dem Marketing davon – aus Gründen
Sobald irgendwo ein neues Social Network aufmacht oder an Bedeutung gewinnt, springen die Marketer auf: Wie kann man in jener App, über die sich Nutzer austauschen, Werbebotschaften platzieren? Wie können Marken in geschlossene Zirkel eindringen? Wann werden es Anzeigen auf dieser neuen Plattform angeboten? – Dabei sind die Nutzer die ganze Werbung satt. Sie tun ihrerseits alles, um Marketinggeschrei auszusperren. Sie wollen dann etwas kaufen, wenn sie es brauchen. Personalisierte Werbung ist eine Möglichkeit, aber sie befindet sich in Deutschland immer noch völlig in den Kinderschuhen. Zahlreiche teure Kampagnen mit den so differenzierten aber selten wirklich ausgereizten Targeting-Möglichketen etwa auf Facebook sprechen da eine beredte Sprache. (Jedenfalls für die, die zuhören. Die anderen wundern sich nur, warum ihr Werbegeld verbrennt.) Tatsächlich kann eben in diesen digitalen Fluten nur noch das Unternehmen punkten, das (auch über Gesichter!) Vertrauen aufbaut und die (potentiellen) Kunden und Empfehler anzieht. Das meiste andere ist oft nur ein häufig ziemlich teures Wettrennen mit den Nutzern.

11. Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs
Die fehlende Digitalkompetenz in der Kommunikation einer Vielzahl deutscher Unternehmen aber ist letztlich auch Indikator dafür, woran es wirklich hapert. Die Herausforderungen von Industrie 4.0 und deren Folgen für Prozesse und auch den Arbeitsmarkt sind nicht annähernd verinnerlicht. Hier muss sich schnell und fundiert etwas ändern, sonst sind womöglich Contentstrategien in wenigen Jahren eines unserer geringeren Probleme. Aber das ist nicht mein eigenes Kernfachgebiet, darüber sollen andere schreiben.

11 + 1. Sie sollten keinen Anleitungen und Thesen glauben – auch nicht diesen!
Die Disruption in allen Bereichen ist das Merkmal dieser Zeiten. Wer linear denkt oder sich an Regeln und Lehrsätze klammert, hat schon verloren. Hinzu kommt, dass die deutsche Kultur traditionell wenig Raum für Fehler und Scheitern lässt. Wer aber Misserfolge nicht als Teil des Prozesses einkalkuliert, probiert auch nichts aus. Wer nichts ausprobiert, kann nichts Neues entdecken. Wer auf altbewährten Schienen bleibt, fährt buchstäblich mit dem Bummelzug aufs Abstellgleis. Vergessen Sie starre Paradigmen (ohne allerdings dabei den gesunden Menschenverstand und das Fachwissen mit abzulegen)! Werden Sie zu Vorreitern statt zu Nachmachern. Viel Erfolg dabei!


Dr. Kerstin HoffmannDie Autorin: Dr. Kerstin Hoffmann berät und unterstützt Unternehmen sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in digitalen Strategien, Public Relations und Corporate Blogging. Sie gibt Workshops, hält Vorträge und schreibt Bücher. Ihr Blog “PR-Doktor” ist laut Ebuzzing eines der führenden deutschen Blogs über digitale Kommunikation. Sie wollen mehr darüber erfahren, was Kerstin Hoffmann für Ihr Unternehmen tun kann?


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